Kaminabend der MU "weniger Bürokratie wagen" mit Dr. Edmund Stoiber
Ministerpräsident a.D. Dr. Edmund Stoiber voller Elan und mit viel Herzblut beim MU Kaminabend "weniger Bürokratie wagen".
Dieser Kaminabend war eine „Sternstunde“ politischer Information und Zeitgeschichte aus erster Hand in Erlangen!
MU Vorsitzender Dr. Robert Pfeffer
Großes Interesse fand das Veranstaltungsformat mit prominenten Rednern zu aktuellen Themen in vertraulicher Runde. MU-Vorsitzender Dr. Robert Pfeffer konnte zahlreiche Gäste begrüßen, darunter Universitätspräsidenten Prof. Dr. Joachim Hornegger, SIEMENS-Vorstandsvorsitzenden a.D. Prof. Dr. Heinrich von Pierer, Alt-Oberbürgermeister Dr. Siegfried Balleis, stv. CSU-Fraktionsvorsitzender Dr. Kurt Höller und MU-Ehrenvorsitzenden Christian Nowak.
Ganz besonders hieß er als Ehrengast mit Dr. Edmund Stoiber nicht nur den erfolgreichen Ministerpräsidenten willkommen, der Bayern („Laptop und Lederhose“) über mehr als 14 Jahre erfolgreich regiert hat und fast Bundeskanzler, Bundespräsident und sogar EU-Kommissionspräsident geworden wäre. Er hieß Dr. Stoiber insbesondere als früheren ehrenamtlichen Vorsitzenden der "Hochrangigen Gruppe im Bereich Verwaltungslasten", einer EU-Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau, herzlich willkommen, die er von 2007 bis 2014 erfolgreich leitete. Die Gruppe sollte die Kommission bei der Verwirklichung schlankerer, einfacherer und kostensparender EU-Rechtsvorschriften beraten. Zudem sollte sie helfen, in anderen EU-Organen und in den Mitgliedsstaaten politische Zusagen für eine verbesserte Rechtsetzung zu erlangen.
Dr. Stoiber bekannte sich dazu, dass er sich nach der Übernahme dieses eingetragenen Ehrenamtes voller Elan, mit viel Herzblut und engagiert mit dem Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit auseinander setzte. Am Beginn seiner Herkulesarbeit mit der Arbeitsgruppe sei eine Bestandsaufnahme und das Zusammenführen der unterschiedlichsten Interessen, Empfindungen und rechtlichen Voraussetzungen der unterschiedlichsten Gruppierungen von Vertretern u.a. der Gewerkschaften, Umweltverbänden, NGO´s aus 28 EU-Staaten gestanden. Grundsätzlich merkte er an, dass bei der Rechtsetzung durch die EU lange Zeit die politischen Ziele der vielen Regelungen im Vordergrund standen ohne Berücksichtigung bürokratischer Belastungen als Folgewirkungen. Dabei konnten sich die Verwaltungsbeamten - sicher in bester Absicht - ohne Kontrolle durch Parlamente der Ländern oder EU regulatorisch „austoben“. Als Konsequenz beklagten auf der einen Seite Bürger und Unternehmen eine „unbändige“ Regulierungswut der EU bei undurchschaubaren Strukturen und Verfahren sowie überbordende Bürokratie. Auf der anderen Seite forderten diese Zielgruppen Regelungen zur Verbesserungen des Lebens im Sinne einer höheren Sicherheit im Alltag, wie z.B. zum Schutz der Verbraucher, der Gesundheit, der Umwelt, des Wettbewerbs. Beispiele seien das Verbot von Glühbirnen und Duschköpfen zur Verringerung des Energie- bzw. Wasserverbrauchs. Oder als abschreckende Vision: die Pflicht zum Tragen von Gürteln, ersatzweise Hosenträgern oder Verbindungsnadeln zum Hemd, damit die Hose – leicht karikierend - auch sicher nicht rutscht. Da diese Entscheidungen aber den Lebensalltag der Bürger und der Wirtschaft teils massiv tangieren, müssten sie rechtzeitig mit ihnen diskutiert werden und die Vorgaben gerade die Unternehmen so gering wie möglich belasten. Dr. Stoiber plädierte deshalb dafür, dass diese politischen Fragen von den „Amtsstuben“ der Fachausschüsse heraus wieder mehr hinein in die politische Debatte des EU-Parlaments verlagert werden. Nur dann sei eine ausgewogene gesellschaftspolitische Diskussion unter Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit gewährleistet, mit Mut zur Lücke.
Konkret hatte die Expertengruppe den Auftrag, die EU-Kommission ehrenamtlich bei der Überprüfung bürokratischer Belastungen der 23 Mio. Unternehmen in der EU durch europäische Regelungen zu beraten. Das Ziel war der Abbau von 25 % der verursachten Kosten bis 2012, um ein zusätzliches Wachstum von 1,4 % des EU-BIP zu generieren. Im Ergebnis konnten die wichtigsten Politikbereiche durchforstet und über 160 Vereinfachungsvorschläge mit einem Einsparungsvolumen von 41 Mrd.€ vorgelegt werden. Beispielhaft nannte Dr. Stoiber die Abschaffung der EU-Bilanzierungsvorschriften mit Handelsbilanz und Rechnungsprüfung für Unternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern, einem Umsatz von weniger als 1 Mio. € und 500.000 € Bilanzsumme, da sie nicht grenzüberschreitend tätig seien. Ergebnis: Entlastung je Betrieb von 1.200 € bzw. aller Kleinstunternehmen um 6 Mrd. € jährlich. Oder: Anerkennung elektronisch ausgestellter Rechnungen zur Erhebung der Mehrwertsteuer, Ergebnis: Einsparungen von 18 Mrd. € jährlich bei 40 Mrd. ausgestellten Rechnungen. Oder: Ausweitung der Ausnahmeregelung zur Nutzung eines digitalen „Tachografen zum Nachweis der Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten“ für Handwerksbetriebe bei Fahrten mit Fahrzeugen bis 3,5 t von 50 auf 100 km, Ergebnis: Nutzen für 70 % der betroffenen Handwerksbetriebe. Das Besondere dieser erfolgreichen „Maßnahmen zur eindeutigen Verringerung der Verwaltungslasten“ sei, dass sie den Staat keinen Cent kosten!
Im Ergebnis habe die Kommission bereits Vorschläge mit einem Einsparungsvolumen von 25 Mrd. € übernommen und beschlossen sowie mehr als 100 Maßnahmen aus Eingaben von Bürgern, Unternehmern und Verbänden umgesetzt. Nun seien das europäische Parlament und der Rat gefordert zuzustimmen. Als weiteres Ergebnis habe der damalige EU-Präsident Barroso begonnen, den Bürokratieabbau auf die Tagesordnung der EU-Kommission zu setzen. Der neue EU-Präsident Jean-Claude Juncker habe dann dieses Thema Chefsache erklärt und seinen ersten Vizepräsidenten Frans Timmermanns die Zuständigkeit übertragen, künftig bei jeder Regelung übergreifend zu prüfen, wie Bürokratie vermieden werden kann. Dr. Stoiber betonte, dass er sich auf Bitten von EU-Präsident Juncker bereit erklärt habe, sich in herausgehobener Position weiter im Bereich „bessere Rechtsetzung“ für die Entbürokratisierung einzusetzen.
Leider wurde und werde das beachtliche Ergebnis, das er im Abschlussbericht 2009 dem damaligen EU-Präsident Barroso vorlegte, in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet. Er forderte die Wirtschaft und vor allem den Mittelstand auf, diese beachtliche bürokratische und letztlich auch steuerliche Entlastung gerade der Klein und Mittelbetriebe zur Kenntnis zu nehmen und auch in und durch ihre Gremien öffentlich zu loben.
In der lebhaften Diskussion vertiefte Herr Dr. Stoiber die angesprochenen Themen, wie z.B. Entbürokratisierung auch von Forschungsanträgen und Bauordnungen, gerade im Hinblick auf dringend notwendige Sozialwohnungen. Unvermeidlicher Schwerpunkt war die aktuelle Flüchtlingssituation, auch im Zusammenhang mit dem Thema „Sicherheit der Bürger“. Er warnte vor einer ernsten Krise für die Große Koalition, wenn diese nicht zeitnah erkennbare Lösungen für eine Verlangsamung der überbordenden Flüchtlingsströme finde und umsetze. Davon betroffen sei auch die Handlungsfähigkeit von CDU/CSU in ihrer Kernkompetenz „Sicherheit“.
Auch die Frage von Alt-OB Balleis, ob er 2002 das Angebot des damaligen Bundeskanzlers Schröder und des französischen Präsidenten Chirac, die Nachfolge von Herrn Prodi als EU-Präsident anzunehmen, heute ablehnen würde, beantwortete er letztlich tiefgründig und ehrlich: „Ja, weil man oben im Großen vielmehr gerade für Europa bewirken kann, wie das Ergebnis der Entbürokratisierungsbemühungen zeigt.“ Die Antwort auf die Frage, ob er auch an das Schreiben von Memoiren denke oder für eine Biografie zur Verfügung stehe, blieb er vielsagend offen.
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Dr. Edmund Stoiber - Impressionen MU-Kaminabend