Es war mir eine Ehre!
Ein politischer Blick zurück nach vorn
In früheren Zeiten galten Abgeordnete - wie Professoren oder Unternehmer - einmal als „Honoratioren“. Diese Zeiten sind lange vorbei, und der gesellschaftliche Befund, der hinter diesem Begriff steckte, kann unter den Bedingungen unserer äußerst wandelbaren Medien- bzw. Social-Media-Demokratie wohl auch tatsächlich keine Gültigkeit mehr beanspruchen.
Aber umgekehrt wird schon immer noch ein Schuh daraus: Es ist unverändert eine große Ehre, einen Wahlkreis in einem Parlament vertreten zu dürfen! Mir jedenfalls war es eine außerordentlich große Ehre, dass mich die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis Erlangen sechsmal in Folge direkt in den Deutschen Bundestag gewählt haben. Ich bin sehr dankbar für dieses große Vertrauen über diese lange Zeit!
Dieses Mandat hat mich in politische Spitzenfunktionen in Parlament und Regierung geführt, und mir Perspektiven eröffnet, die weit über die Region hinausreichten. Ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und als Parlamentarischer Geschäftsführer unserer CSU-Landesgruppe im Bundestag machen durfte. Es war eine Freude, aber eben auch eine große Ehre, unser Land aktiv mitgestalten zu können.
Ausgangs- und Kristallisationspunkt in all der Zeit war aber immer „mein“ Wahlkreis.
Die Bandbreite der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, die diesen Wahlkreis ausmachen, ist etwas ganz Besonderes. Es kann hier ja jederzeit ganz selbstverständlich vorkommen, dass man sich morgens mit den existenziellen Sorgen der Teichwirte wegen der Bedrohung ihrer Bestände durch Kormorane und ähnliche Räuber auseinandersetzt, mittags ein Gespräch über Hilfsmittelmangel aufgrund neuer europäischer Regeln in der Uni-Klinik führt und sich abends über globale Lieferkettenprobleme mit Topmanagern eines Weltkonzerns austauscht, nachdem man am Nachmittag in der Bürgersprechstunde mit harscher Kritik an einem lokalen Infrastrukturprojekt konfrontiert wurde. Das ist keine künstliche Übertreibung, sondern all diese Beispiele gehören vollkommen selbstverständlich zu den Themen, die man als Abgeordneter dieses Wahlkreises zu bearbeiten, und in die man sich einzuarbeiten hat.
In meinen fast 22 Jahren als Bundestagsabgeordneter konnte ich so immer wieder Bürger und Unternehmen bei speziellen Anliegen unterstützen und ihnen helfen, Probleme zu beseitigen, oder sie wenigstens zu lindern. Im Mittelpunkt standen dabei immer die Menschen und nie irgendwelche abstrakten Vorhaben. Das gilt im Übrigen auch für viele größere Projekte, die ich mit auf den Weg bringen konnte. Es sind immer Menschen, die zurecht gute Rahmenbedingungen für ihre Forschung, ihre Arbeitsplätze, ihr Leben einfordern. Und daher war, ist und bleibt auch eines meiner politischen Grundanliegen keine abstrakte Idee, sondern ein langfristig angelegtes Ziel zum Nutzen der Menschen in der Region, für das wir immer weiter und immer wieder neu arbeiten müssen: Erlangen ist das innovative Herz der Metropolregion und muss es auch in Zukunft bleiben!
Der Landkreis Erlangen-Höchstadt, in dem ich auch weiterhin als Kreisrat und CSU-Kreisvorsitzender politische Verantwortung trage, lässt sich davon nicht trennen. Erlangen bezieht einen großen Teil seiner Attraktivität aus den weichen Standortfaktoren, die der Landkreis bereithält. Und umgekehrt profitiert der Landkreis - trotz seiner eigenen wirtschaftlichen Stärke - eben auch vom hervorragenden Wissenschafts- und Forschungs-Hotspot Erlangen. Es lohnt sich, an der Weiterentwicklung dieser so erfolgreichen Symbiose konsequent gemeinsam weiter zu arbeiten.
In meiner neuen Aufgabe an der Spitze des Genossenschaftsverbandes Bayern hat der Mittelstand große Bedeutung. Dieses elementare Rückgrat unserer Wirtschaft mit einem großen Anteil am Innovationspotential speziell unserer Region nicht aus den Augen zu verlieren, ist vor allem auch eine politische Aufgabe, die wir in ihrer Bedeutung für die Arbeitsplätze und den Wohlstand der Zukunft keinesfalls unterschätzen dürfen. Ich gebe zu: Nicht alles ist in diesen gut zwei Jahrzehnten immer auf Anhieb gelungen. Nicht im Wahlkreis und auch nicht auf bundespolitischer Ebene. Im Großen und Ganzen zeigen mir aber die vielen positiven Gespräch und Zuschriften der letzten Wochen, dass dies in den Augen der Bürger wohl die Ausnahme geblieben ist und dass ich dankbar auf eine erfolgreiche Zeit als Abgeordneter zurückblicken darf.
Mitgeholfen zu haben, die Schuldenbremse im Grundgesetz zu verankern, ist so ein Erfolg, auf den ich stolz bin. Denn sie ist ein außerordentlich wichtiger Aspekt der Generationengerechtigkeit. Keine Generation darf den nach ihr kommenden Generationen durch überbordende Schuldenmacherei die politische Handlungsfähigkeit nehmen, davon bin ich nach wie vor zutiefst überzeugt. Deshalb ist es gut, dass finanzpolitische Solidität heute Verfassungsrang hat.Bei manchen Themen würde ich heute gleichwohl anders entscheiden, oder entschiedener auf tragfähigere Lösungen drängen: So etwa beim Ausstieg aus der Kernkraft, bei der Aussetzung der Wehrpflicht und bei der Reform der Altersversorgung.
Rückblickend haben diese Beispiele eines gemeinsam: Der Umgang der Politik mit diesen Fragen folgt(e) eher situativem Kalkül als langfristig angelegten Strategien. Das ist nach meiner Beobachtung kein rein bundespolitisches Phänomen, sondern spiegelt die Kurzatmigkeit unserer Zeit in allen Lebensbereichen und auf allen politischen Ebenen wider.
Wenn ich mir also etwas wünschen dürfte, für die Politiker, die den Staffelstab jetzt übernehmen und weitertragen, dann dies: Geben wir ihnen die Zeit, um Sachfragen gründlich zu durchdenken und langfristig tragfähige Kompromisse zu finden. Denn das ist die vornehmste Aufgabe der Politik. Und das ist ausdrücklich kein Plädoyer für Langsamkeit oder Zauderei - ganz im Gegenteil: Sachlich gut durchdachte, kraftvolle, wo nötig auch schnelle Entscheidungen und intelligenter Interessenausgleich statt oberflächlicher Formelkompromisse führen auf direktem Weg zu mehr politischer Akzeptanz.
Angesichts des Erstarkens der politischen Extreme hat unser Land das heute nötiger denn je!
Von Stefan Müller
MdB 2002-2024