Stadtrat Dr. Kurt Höller

Direkt. Im Gespräch - Dr. Kurt Höller

Interview mit Stadtrat Dr. Kurt Höller, bislang Geschäftsführer des Zentralinstituts für Medizintechnik der FAU und demnächst im Management Board von EIT Health e.V.

 

Seit Mai 2014 sind Sie Stadtrat in Erlangen. Was sind Ihre Erfahrungen nach 19 Monaten in dieser Funktion?

Erlangen hat eine äußerst lebendige Stadtgesellschaft. Das spürt man täglich bei den vielen Veranstaltungen der unzähligen Organisationen, Vereine und Initiativen. Erlangen ist eine Innovationsstadt par Excellence. Das belegen nicht nur die täglichen Erfahrungen über die Grenzen Frankens hinaus, sondern ganz objektiv auch die nüchternen Zahlen in Rankings, Patentstudien und Branchenveranstaltungen. Aber vieles könnte auch deutlich reibungsloser und schneller vorangehen, wenn wir uns politisch wieder mehr das visionäre Denken am Anfang der langen Entwicklung zur Bundeshauptstadt der Medizin zu Eigen machen würden.

Können Sie ein Beispiel für das fehlende visionäre Denken nennen?

Ich verstehe zum Beispiel immer noch nicht, warum die CSU so viel Gegenwind bekommt, wenn wir als größte Fraktion im Erlanger Stadtrat neue privat finanzierte Flächen an der Gebbertstraße zwischen Medical Valley Center und Siemens MedMuseum für wachsende Medizintechnik-Unternehmen und universitätsgetriebene Kooperationsprojekte fordern. Gerade in der Weiterentwicklung dieses Medizintechnik-Areals liegt doch eine gewaltige Chance für die Zukunft. Wenn wir die nicht nutzen, schaden wir nicht nur uns selbst, sondern letztlich der zukünftigen Generation.

Sie sind schon lange politisch engagiert, was treibt Sie an?

Mich drängt der Wille zu gestalten. Genau dort, wo andere aus rechtlichen oder politischen Gründen keine Perspektiven mehr sehen, da will ich anpacken und dafür sorgen, dass es letztlich doch klappt. Oder vielleicht die richtigen Mitstreiter und Förderer dafür finden, dass aus dem Nischenthema ein Gewinnerthema wird. Nur zuhause oder am Stammtisch sitzen und alles beklagen was nicht optimal läuft war für mich nie eine Option. Ich will mich mit Leib und Seele für die Umsetzung unserer Zukunftsthemen einbringen.

Seit 2009 waren Sie Geschäftsführer des Zentralinstituts für Medizintechnik (ZiMT) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Was macht man da eigentlich?

Als ZiMT-Geschäftsführer durfte ich seit der Gründung im Jahr 2009 mit großer Unterstützung durch meinen ehemaligen Doktorvater Prof. Joachim Hornegger, den Dekan der Medizinischen Fakultät Prof. Jürgen Schüttler und den Naturwissenschaftler Prof. Ben Fabry wirken. Direkt an die FAU-Leitung angedockt, hat das ZiMT unzählige Impulse gesetzt, die das Medizintechnik-Netzwerk zwischen Universität, Universitätsmedizin und Industrie verstärkt, die internationale Sichtbarkeit ausgebaut und die Gründerkultur in unserem Medizintechnik-Cluster befördert haben.

Worauf sind Sie mit Blick auf Ihre ZiMT-Aktivitäten besonders stolz?

Begonnen hat alles mit einem Studiengangskonzept. Der federführend von Prof. Hornegger und mir konzipierte Bachelor- und Master-Studiengang Medizintechnik hat sich einen bundesweit herausragenden Ruf erworben und ist aus Medizintechnik-Sicht ein wichtiger Standort-Faktor geworden. Für hunderte junger Menschen war tatsächlich genau das der Grund, von vielen Regionen und Metropolen außerhalb Bayerns, Deutschlands und Europas ausgerechnet zu uns nach Erlangen zu kommen.

Wir haben gehört, dass Sie sich beruflich verändern wollen. Was macht Dr. Höller in den nächsten Jahren?

Ab Mitte Dezember 2015 trete ich eine Stelle im Management Board des neu eingerichteten European Institute of Innovation and Technology for Health (EIT Health, www.eithealth.eu) an. Standort des internationalen Headquarters und damit auch mein formaler Dienstsitz ist München. In der Praxis werde ich aber die meiste Zeit bei den Europäischen Konsortialpartnern unterwegs sein. Ein spannendes Gefühl, in Zeiten wie diesen noch ein wenig mehr echter Europäer zu sein als früher.

Bedeutet das, Sie ziehen aus Erlangen weg?

Nein. Meine Frau und ich wohnen ja fest in Erlangen. Meine Frau arbeitet hier in einem ausgezeichneten Architekturbüro. Und ich will mich hier auch weiterhin für die Zukunft unserer Stadt engagieren. Nirgendwo sonst habe ich eine solche aus großer Exzellenz auf kurzen Wegen resultierende Innovationskraft gespürt. Von hier aus ist mein internationales Medizintechnik-Netzwerk entstanden. Hier liegen Wissenschaft und Wirtschaft in diesem Bereich so eng zusammen wie sonst nirgendwo mehr in Europa. Dafür müssen wir auch weiter die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Haben Sie dann auch in Zukunft einen Schreibtisch in Erlangen?

Den will ich mir auf jeden Fall einrichten, am besten direkt dort wo alle Medizintechnik-Aktivitäten Nordbayerns zusammenlaufen: Im Erlanger Medical Valley Center. Aber auch an vielen anderen Punkten in der Stadt wird man mich weiterhin häufig antreffen. Das Fahrrad war in den letzten Jahren mein wichtigstes Arbeitsmittel, das soll auch weiterhin so bleiben.

Hier liegen Wissenschaft und Wirtschaft so eng zusammen wie sonst nirgendwo mehr in Europa. Dafür müssen wir auch weiter die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Kurt Höller über Erlangen

Sie sind ja immer ein sehr positiv denkender Mensch voller Elan. Was werden Sie in Ihrer neuen Funktion vermissen? Macht Sie etwas auch ein bisschen wehmütig?

Natürlich schmerzt mich der Abschied von „meinem“ Institut. Als Team von Kollegen und Mitarbeitern haben wir nicht nur viel erreicht, sondern auch mit sehr viel Freude und Begeisterung immer wieder neue Dinge angepackt. Das war nicht nur ein Job, das war eine Lebenseinstellung. Auch die Studierenden haben das gespürt. Viele sind nach meiner „Last Lecture“ auf mich zugekommen und wollten die Gelegenheit nutzen, mich nochmals um eine Empfehlung oder einen Kontakt zu bitten. Oder einfach nochmal Dankeschön zu sagen.

Das klingt nach sehr viel Team-Play, wer waren die engsten Mitstreiter?

Den größten Rückhalt gab mir zu Beginn der Lehrstuhl meines Doktorvaters Prof. Hornegger, in dem über 50 Doktoranden an Medizintechnik-Projekten arbeiteten. Sukzessive ist dann im Medical Valley auch unter Mitwirkung des ZiMT eine echte Medizintechnik-Community entstanden. Ein wichtiger Impuls gleich zu Beginn war das BMBF-Spitzencluster Medizintechnik mit Prof. Reinhardt und Prof. Schüttler, aber auch die vom ZiMT initiierte internationale BMBF-Themenkampagne Medizintechnik in Brasilien, China und USA 2011-2013 sowie das in diesem Jahr angelaufene BMBF-Internationalisierungsprogramm für unseren Spitzencluster.

Funktioniert das so geschaffene Netzwerk dann eigentlich noch ohne den „Chef-Netzwerker“?

Ja, davon bin ich überzeugt. Als wir angefangen haben, den Studiengang für die FAU zu konzipieren, wusste man bis auf eine kleine Handvoll Professoren überhaupt nicht, wer sich eigentlich mit Medizintechnik-Themen beschäftigt. Inzwischen haben wir am ZiMT über 70 assoziierte Professoren. Erstmals haben wir diese Forschungsvielfalt auch in einem Aktivitätsbericht zusammengestellt. Diese Forschungserkenntnisse werden wiederum in Lehrveranstaltungen oder Industrieprojekten an Dritte weitergeben. Ganz abgesehen davon habe ich mit Dr. Simone Reiprich eine hervorragende Nachfolgerin mit äußerst engagierten Mitarbeitern im ZiMT. Das ist eine großartige Mannschaft, die kriegen das locker hin!

Bringt Ihr „Ruf nach München“ auch Vorteile für die Europäische Metropolregion Nürnberg und den Standort Erlangen?

Nach dem auslaufenden BMBF-Spitzencluster für den Forschungsschwerpunkt Medizintechnik brachte Ende 2014 die Beteiligung am Sieger-Konsortium der Europäischen Ausschreibung zu „Healthy Living and Active Ageing“ (EIT Health) im Konsortium mit über 150 weiteren der Top-Medizintechnik-Institutionen Europas großes Renommee auch nach Erlangen. Entscheidend ist nun, dass neben der Mitgliedschaft Erlanger Einrichtungen im Konsortium nun in meiner Person auch ein Erlanger mit Wissen um die Stärken und Akteure der Region auch im Top Management von EIT Health vertreten ist. Ziel muss deshalb sein, mit EIT Health auch regelmäßig im Medical Valley präsent zu sein, um so die große Menge an Vorteilen nutzen zu können.

Warum ist das Headquarter in München und nicht in Erlangen, der deutschen „Bundeshauptstadt der Medizin“?

Zuerst einmal vorweg: Es hätte schlimmer kommen können, es hätte auch in London, Paris oder Madrid landen können. Wir haben intensiv dafür gekämpft, das Headquarter von EIT Health im internationalen Konsortium nach Deutschland zu holen. Mit einer Struktur-Förderzusage von jährlich einer halben Million Euro hat das Bayerische Wirtschaftsministerium unter persönlichem Einsatz von Staatsministerin Ilse Aigner in enger Abstimmung mit dem Baden-Württembergischen Wissenschaftsministerium den Ausschlag für eine Bayerische Verortung gegeben. Innerhalb Bayerns war der Standort München letztlich der Forderung nach einer Direktflugverbindung in alle Europäischen Hauptstädte geschuldet. Das verdeutlicht die Notwendigkeit eines starken Nürnberger Flughafens für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Region. Zumindest über meine Position ist nun aber auch so die nordbayerische Anbindung an EIT Health gewährleistet.

Hat EIT Health tatsächlich einen realen Einfluss auf die Gesundheitswirtschaft?

Mit einem Gesamtprojektvolumen von über 2 Milliarden Euro in den nächsten 15 Jahren handelt es sich bei EIT Health um eine der weltweit größten öffentlich geförderten Initiativen im Bereich Gesundheit. Für die geplanten Innovationsprojekte werden neben dem direkten Patientennutzen und der praktischen Umsetzbarkeit vor allem auch die Vernetzung von klinisch-technischer Forschung, Industrie-Geschäftsmodellen, akademischer Bildung und Schaffung neuer Geschäftsfelder, teilweise in Form von Spin-Offs, im Zentrum stehen. Vorrangig zielt EIT Health darauf ab, innovative Unternehmensgründungen in der Medizintechnik zu erleichtern und zu forcieren. Hintergründig ist nicht weniger als eine gesündere Europäische Bürgerschaft unsere langfristige Messlatte.

Wer steckt eigentlich hinter dem EIT Health e.V.?

Der EIT Health e.V. ist ein Konsortium mit über 150 Forschungseinrichtungen und Großunternehmen, das sich auf Grundlage einer Europäischen Ausschreibung über viele Jahre hinweg entwickelt und schließlich nach selbst definierten Exzellenzkriterien zusammengefunden hat. Neben den Core-Partnern FAU (vertreten durch ZiMT) und Siemens Healthcare sind auch der Medical Valley EMN e.V. und das Fraunhofer IIS als Assoziierte Partner mit an Bord. Über die weiteren vier deutschen Forschungseinrichtungen Universität Heidelberg, RWTH Aachen, TU München und Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns in Köln hinaus finden sich international anerkannte Forschungseinrichtungen mit so klangvollen Namen wie das britische Imperial College, die schwedische Karolinska Universität, die belgische KU Leuven und die französische UPMC Sorbonne auf der Liste der beteiligten akademischen Core Partner. Auf Industrieseite sind neben unserem Erlanger Global Player Siemens Healthcare auch Unternehmen wie Roche, Philips, GE, Sanofi, Axa, Nestlé und viele andere Branchenführer im Netzwerk.

Was ist die Stärke eines derart großen Netzwerks?

Durch die beschriebene Zusammensetzung ist nicht nur die wissenschaftliche Exzellenz, sondern auch die Kraft einer flächendeckenden Umsetzbarkeit von Innovationen und Produkten sichergestellt. Der Europaweite Zusammenschluss beispielsweise zwischen regionalen Medizintechnik-Forschern und renommierten Universitätskliniken in Frankreich, Skandinavien oder England, aber auch zwischen Erlanger Medizintechnik-Firmen und internationalen Pharma-Riesen und Versicherern verspricht spannende Ergebnisse.

Sie sind jetzt Director of Business Creation. Was machen Sie da?

Der EIT Health Accelerator, für den ich als Direktor verantwortlich sein werde, ist kein Produkt oder Gebäude zum Anfassen, sondern ein internationales Maßnahmenbündel mit Schubkraft für Unternehmensgründungen. Schwerpunkt zur Erleichterung des Marktzugangs der Unternehmensgründer ist die Vernetzung und Vermittlung von europäischen „LivingLabs“ und „TestBeds“ im Konsortium mit Blick auf ihre Spezial-Expertise in Fragen der Produktzulassung oder Kostenerstattung. Oder die Etablierung internationaler Ausbildungsprogramme im Bereich Entrepreneurship, in dem sich Gründungswillige mit Kollegen aus ganz Europa treffen und gemeinsam unter Begleitung von Experten aus den Industrie-Partnern ihre Ideen diskutieren und Business Pläne entwerfen. Außerdem wollen wir zielgerichtetere Services beim internationalen Marktzugang wie „GoGlobal DigiHealth“ und „GoGlobal MedTech“ etablieren. Hieraus erhoffen wir uns schneller wachsende Unternehmen und internationale Ansiedlungen.

Solche Services sind sicherlich notwendig, aber braucht es für Unternehmensgründungen nicht auch Geld?

Auch hier setzen wir im Accelerator einen Schwerpunkt: Ein zentrales, unbürokratisches Mittel werden sogenannte HeadStart Projects sein, in denen bereits 2016 insgesamt 50 Start-Ups einen Sofortzuschuss von 50.000€ bekommen werden, um mit ihrem Produkt auf den Markt zu kommen. Für die besonders attraktiven Unternehmensgründungen wird der Aufbau von neuen Instrumenten im Bereich Risikokapitalfinanzierung auch unter Einbeziehung von Family Offices und Business Angels notwendig werden. Hier investiertes Geld verspricht nicht nur hohe Rendite, sondern auch bessere Gesundheit für Europas Bürger.

Und wozu verwendet EIT Health die hohen Fördermittel der Europäischen Union?

Kosten für Management und Infrastruktur werden vollständig über Mitgliedsbeiträge der Partner finanziert, alle Fördermittel gehen in konkrete Projekte. Ein wichtiges Signal ist zudem die jährlich steigende Förderung durch die Europäische Union. Während wir 2016 nicht sehr viel mehr als 20 Millionen zur Verfügung haben werden, soll diese Zahl nach sieben Jahren auf über 100 Millionen Euro pro Jahr gestiegen sein. Das erlaubt uns, jedes Jahr neue, zusätzliche Projekte zu fördern, ohne die erfolgreich bestehenden sofort wieder abbrechen zu müssen. Zugleich müssen die geförderten Einrichtungen das jeweils mindestens dreifache der Fördersumme in Form bereits laufender Forschungsprojekte, Ausbildungsprogramme und Gründeraktivitäten als komplementäre Aktivitäten im internationalen Verbund einbringen.

Die europäische Förderung für dieses Konsortium ist auf insgesamt 15 Jahre angelegt. Wo stehen wir dann?

Ich persönlich erwarte mir durch EIT Health, dass uns auf Europäischer Ebene das gelingt, was wir in Erlangen durch Spitzencluster Medical Valley und Zentralinstitut für Medizintechnik vorgemacht haben: Wir werden eine Innovationsgemeinschaft schaffen, in der durch Förderanreize Konkurrenz und Abgrenzung überwunden und so Interdisziplinarität, Austausch und Kooperation verwirklicht werden können. Diese Entwicklung macht einen großen Teil der Erlanger Erfolgsgeschichte aus und wird auf Europäischer Ebene in einem noch ganz anderen Maßstab Früchte tragen. Von diesem gemeinsamen Aufbruch werden alle Beteiligten besonders auch direkt vor Ort profitieren können. Gerade einer Stadt wie Erlangen, die Innovationsmotor sein will und muss, fällt es trotz aller Alleinstellungsmerkmale und Erfolge international ja immer noch schwer, die verdiente Sichtbarkeit zu erlangen. Wenn die Erlanger Verantwortlichen bereit sind, unseren Medizintechnik-Start-Ups vor Ort die dringend notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, will ich mit unserem Europäischen Netzwerk auch für deren internationalen Erfolg kämpfen.

Erfahren Sie mehr über Dr. Kurt Höller

Dr.-Ing. Kurt Höller, MBA
CSU-Kreisvorsitzender, Stadtrat

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Dieses Interview führte:

Albrecht Börner
Geschäftsführer CSU-Stadtratsfraktion

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